Die jüdischen Speisegesetze
Die jüdische Küche gehorcht jahrhundertealten Regeln und Geboten. Sie gilt als gute, ist es jedoch nicht durch die Üppigkeit und die Reichhaltigkeit geworden, sondern durch die Regeln zur Mäßigung. Sie ist durch die Verwendung, religiös erlaubter Nahrungsmittel entstanden, dem Verbot unreiner Tiere und der Beschränkung der Verwendungsmöglickeit verschiedener Nahrungsmittel, der Trennung zwischen Fleischspeisen und Milchspeisen und der Beschränkung der Arbeitszeit durch die Heiligkeit des jüdischen Sabbats. Grundsätzlich erlauben die jüdischen Religionsgesetze den Genuss von vegetarischen Erzeugnissen, wie Gemüse und Obst.
Das jüdische Religionsgesetz hat nicht nur das religiöse, das soziale Leben gestaltet, sondern hat auch die häusliche Kultur in allen ihren Erscheinungen und auf allen Gebieten bestimmt und geformt. Daher sind in der jüdischen Küche Ideen, Forderungen und Gebote der jüdischen Religion, der Bibel, des Talmud, des Schulchan Aruch (das Buch vom Gedeckten Tisch) verwoben. Die Ernährung unterwirft sich den Forderungen der Religion, denn Ernährung und seelisches Leben stehen in Wechselbeziehung, und ein reines Leben der Seele nach jüdischer Tradition bedingt eine reine Nahrung.
,,Unterscheidet zwischen reinem und unreinem Vieh und zwischen unreinem und reinem Geflügel und verunreinigt nicht Eure Seelen durch Tier oder Vogel oder Reptil, die ich für Euch ausgesondert habe, um sie für unrein zu erklären”, sagt die Thora zur Begründung der Speisegesetze ( (III. B. M. 20,25)
,,Der Körper des verzehrten Tieres wird wieder Fleisch im Körper des verzehrenden Menschen” sagt der jüdische Gelehrte Abraham ibn Esra, ca. 1100, zur Begründung der Unterteilung in reine und unreine Nahrung. Ludwig Feuerbach brachte diese Thesen mit dem Spruch ,,Der Mensch ist, was er ißt” auf den Punkt.
Aus dieser Sichtweise ist also das Essen des Menschen ein Mittel, um sein Sein und sein Wesen zu beeinflussen. Die materialistische Betrachtung der Dinge führt also zu dem gleichen Ziel, wie der religiöse Gedanke, mit dem die Thora
die Terephagesetze und damit die Speisegesetze überhaupt begründet: „Männer der Heiligung sollt Ihr mir sein, und Fleisch, das auf dem Felde zerrissen gefunden wurde, dürft Ihr nicht essen.“
Das wichtigste Speisegesetz ist die Unterscheidung der Tiere in erlaubte und verbotene, in reine und unreine. Die Thora gestattet im elften Kapitel des dritten Buches Mose alle Vierfüßler, die gespaltene Klauen haben und wiederkäuend sind.
Dagegen sind alle Tiere verboten, die, wie das Schwein, nur eine, oder, wie das Pferd, keine dieser Eigenschaften besitzen.
Im Wesentlichen ist damit alles erlaubt, was zur Gattung des Rindes, des Schafes, der Ziege gehört, und Hirsch und Reh sind von der Thora ausdrücklich eingeschlossen.
Für die Vögel fehlt eine entsprechende Angabe von Merkmalen. Hier werden an der gleichen Stelle der Thora nur diejenigen aufgezählt, die verboten sind, Zum großen Teil ist heute unbekannt, was die dort angeführten Vogelnamen bedeuten, da deren Bedeutung verlorengegangen ist. Infolgedessen sind nach der jüdischen Überlieferung alle Vögel verboten, mit Ausnahme derer, von denen durch Überlieferung genau bekannt ist, dass sie gestattet sind. Erlaubt sind alle, die zur Gattung der Hühner, Tauben und Gänse gehören. Unbedingt verboten sind jedoch alle Raubvögel. Von den Fischen ist alles erlaubt, was Flossen und Schuppen hat, aber alles verboten, dem diese beiden Merkmale fehlen. Verboten ist infolgedessen vor allem der Aal, von anderen Tieren aus dem Wasser die Auster, von Fischprodukten der Kaviar.
„Alles, was auf der Erde sich regt“, also alle Reptilien, sind verboten, und deshalb kommt für die jüdische Küche weder der Froschschenkel, noch die Schnecke in Betracht.
Den wahren Grund für diese Unterscheidung der Tiere in erlaubte und verbotene, kennt man nicht mehr. Der jüdische Philosoph Maimonides (1138-1204), der in seinem Moreh Nebuchim die jüdischen Gesetze rational zu begründen versuchte, war der Meinung, alle verbotenen Speisen seien gesundheitsschädlich, und das Schwein im Speziellen sei verboten, weil es im Schmutz wühle und ekelhafte Nahrung genieße. Nach den jüdischen Religionsgesetzen ist es jedoch unerheblich, ob ein Grund bekannt ist, es ist verbindlich durch die bloße Existenz des religiösen Verbotes.
Die Speisegesetze gehören zur Gruppe der „Chukkim“, d. h. jener religiösen Gesetze, deren Grund heute unbekannt ist.
Ein Bestandteil des tierischen Körpers ist unter allen Umständen, auch bei den sonst erlaubten Tieren, verboten: das Blut. „Nur sei stark, daß Du kein Blut genießest, denn das Blut ist das Leben, und Du darfst nicht das Leben mit dem Fleische genießen“, mahnt die Thora. Diese Vorschrift hat wichtige Konsequenzen gehabt. Vor allem führte
sie zu einer besonderen Art des Schlachtens, zum „Schächten“. Dabei wird das Tier wird Durchschneidung der großen Halsgefäße getötet und ausgeblutet. Dadurch wird schon bei der Schlachtung der größte Teil des Blutes aus dem Körper entfernt.
Im Dienste des gleichen Zieles steht die Speisevorschrift des Wässerns und Salzens. Durch diese Einzelvorschrift bleibt das Fleisch, das nach dem jüdischen Religionsgesetz behandelt wird, länger frisch. Andere Konsequenzen dieser Bestimmungen aber gehen weit über den Bereich der Küche hinaus. Die Forderung, daß nur das Fleisch von geschächteten Tieren genossen werden darf, hat z. B. zur Folge, daß die Jagd bei den Juden keinen Eingang gefunden hat.
Nach den jüdischen Speisevorschriften dürfen auch die erlaubten geschächteten Tiere nur genossen werden, wenn sich bei der genauen und bis ins Einzelne gehenden Untersuchung (Bedikah) zeigt, daß sie nicht „terepha“ sind. „Terepha“ im strengsten Sinne des Wortes heißt „zerrissen“. Diese Bedeutung hat es in jener Stelle der Thora, auf der die ganze Lehre von koscher und terepha beruht. „Männer der Heiligung sollt Ihr mir sein, und Fleisch, das auf dem Felde zerrissen gefunden wurde, dürft Ihr nicht essen, dem Hunde sollt Ihr es vorwerfen.“
Hier wird also der Genuß eines Tieres verboten, das von Raubtieren zerrissen worden ist.
Der Begriff „terepha“ hat sich über sein ursprüngliches Anwendungsgebiet weit ausgedehnt. Die Mischnah prägt das Wort: „Jedes Tier, das erfahrungsgemäß nicht leben kann, ist therepha“. Jetzt
handelt es sich also nicht mehr um ein äußerlich verletztes, sondern ein krankes oder innerlich krankes Tier. Für die Prüfung, ob ein Tier lebensfähig ist oder nicht, hat der Talmud eingehende Vorschriften gegeben, die dann im Schuldian Äruch übersichtlich zusammengestellt wurden. Die Krankheiten aller tierischen Organe vom Schädel bis zu den Füßen, innerliche Mängel, wie auch die Folgen von Verletzungen, etwa durch einen Nagel, der in den Darm oder in den Magen eingedrungen ist, werden beschrieben, und es wird eine Entscheidung darüber getroffen, ob in dem
gegebenen Falle ein Tier nach jüdischen Vorschriften noch zum Genuß gestattet ist oder
nicht. Diese Vorschriften über die Bedikah bilden das erste und früheste System der Fleischbeschau und haben seit Tausenden von Jahren gewirkt, noch ehe in Europa an eine Fürsorge für gesunde Nahrung gedacht wurde. Trotzdem sind die ursprüngliche Tendenz dieser Gebote keineswegs hygienischer Natur gewesen. „Männer der Heiligung sollt Ihr mir sein“, ist die jüdisch-religiöse Begründung. Alles Kranke, Schwache und Unreine soll vom Menschen femgehalten werden, damit sein Lebensgefühl
rein und gesund bleibe. Der Sinn dieser Gebote ist ethisch und religiös, der Einklang zwischen der religiösen und der natürlichen Ordnung zeigt sich darin, daß der Gehorsam gegen das religiöse Gebot gleichzeitig der Gesundheit des Leibes dient.
Die jüdische Küche ist noch durch eine weitere Institution gekennzeichnet, die ihr ihre Eigenart gibt, durch die Unterscheidung von fleischig und milchig. Ihre Grundlage ist ebenfalls religiös. „Du darfst das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen“, sagt die Thorah dreimal.
Der erste Grund für diese Bestimmung ist wohl eine Empfindung der einfachen Menschlichkeit. Es ist grausam, das junge Tier in der Milch der Mutter zu kochen. Der zweite Grund mag die Scheu vor der naturwidrigen Perversion sein, die die Milch, die von der Natur für die Aufzucht des jungen Tieres
bestimmt ist, dazu mißbraucht, dem Menschen einen zarten Braten zu verschaffen. Wie bei dem Terephagesetz hat aber auch hier die Tradition den Bereich des Gebotes weit über seinen ursprünglichen Sinn ausgedehnt. Sie gilt nach dem Talmud nicht nur für das Böcklein, sondern für jeden Vierfüßler und
jeden Vogel, sie gilt ferner nicht nur für das Böcklein und seine Mutter, sondern es ist nach jüdischer Tradition unter allen Umständen verboten, irgendwelches Fleisch in irgendwelcher Milch zu kochen. Dieses Verbot gilt jedoch nicht für Fische. Der Fisch darf in jeder Weise mit Butter oder Milch zubereitet werden. Die Tradition hat sich auch nicht mit dem Verbote des Kochens begnügt. Jede Zubereitung von Fleisch mit Milch ist verboten, kein Küchengerät, das für fleischige Nahrung bestimmt ist, darf mit Milch in Berührung kommen, der jüdische Haushalt hat deshalb doppeltes Geschirr. Auch dürfen Fleisch
und Milch nicht bei derselben Mahlzeit, wenn auch getrennt, genossen werden. Wer Milch genossen hat, muß vielmehr nach der bei Juden herrschenden Regel eine halbe Stunde warten, bis er Fleisch, und wer Fleisch genossen hat, viel länger – nach dem Sdiulchan Aruch sechs Stunden – warten, bis er Milch genießen darf.
Die jüdischen Speisegesetze, die hier in einem sehr großen Umrissen ohne auf jegliches Detail einzugehen, dargestellt wurden, sind seit den ältesten Zeiten im Judentum zu beobachten. Für die nichtjüdische Welt waren sie von jeher auffallend, oft auch anstößig, und seit einigen Menschenaltem werden sie auch von manchen Juden bekämpft und von vielen Juden mindestens nicht mehr beachtet. Ihretwegen hat man die jüdische Religion manchmal auch als „Küchenreligion“ stigmatisiert. Den echten Juden kann das jedoch nicht beirren. Wenn wirklich Leib und Seele in innigem Zusammenhang miteinander stehen, und wenn es möglich ist, durch die Speise den Leib und damit die Seele zu beeinflussen, dann kann auch die Speise Gegenstand des Religionsgesetzes sein.
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